Zur Widersprüchlichkeit von Studien

Warum viele Vitamin-D-Studien scheitern

In Studien supplementieren in der Regel alle Probanden die gleiche Vitamin-D-Menge. Dies ist problematisch, da die benötigte Vitamin-D-Dosis von mehreren Faktoren abhängt. Berücksichtigt werden sollten beispielsweise das Körpergewicht und der Gesundheitszustand. Denn der Vitamin-D-Bedarf steigt deutlich mit höherem Körperfettanteil sowie z.B. bei Entzündungen oder bei Stress.

So ist der Effekt von Vitamin D gegen die Entwicklung fortgeschrittener Krebserkrankungen (metastasierend oder tödlich) bei Übergewichtigen deutlich geringer. Dies zeigt eine doppelblinde, placebokontrollierte Studie mit über 25.000 Studienteilnehmern, bei der täglich 2000 I.E. Vitamin D verabreicht wurden. Innerhalb von fünf Jahren ab Studienbeginn war bei der Vitamin-D-Gruppe das Risiko fortgeschrittenen Krebs zu entwickeln signifikant verringert – allerdings nur bei den Normalgewichtigen um 38 % (HR: 0,62) und kaum oder gar nicht bei den übergewichtigen oder adipösen Studienteilnehmern (HR: 0,89 bzw. 1,05).[1]Chandler PD, Chen WY, Ajala ON, et al. Effect of Vitamin D3 Supplements on Development of Advanced Cancer: A Secondary Analysis of the VITAL Randomized Clinical Trial. JAMA Netw Open. … Continue reading

Vitamin D ist ein fettlösliches Vitamin, das sich im Körper auf das Fettgewebe verteilt. Bei Fettleibigen ergibt sich so ein starker Verdünnungseffekt. Daher ist die Menge an Fettgewebe entscheidend für den Vitamin-D-Bedarf einer Person.

Auch der Ausgangswert, also die Vitamin-D-Versorgung bei Beginn der Supplementierung, variiert sehr stark und ist selbstverständlich von großer Bedeutung.

Im Vergleich verschiedener Studien ist die supplementierte Vitamin-D-Dosis dagegen sehr unterschiedlich. Bei einer Dosierung der von der DGE empfohlenen 800 I.E. pro Tag oder auch höheren Dosierungen bei Übergewichtigen ist es nicht verwunderlich, wenn positive Ergebnisse ausbleiben.  

Vitamin-D-Spiegel im Jahresverlauf

In vielen Studien zum Thema Vitamin D bestehen widersprüchliche Angaben dazu, ob sich ein zu hoher oder ein zu geringer Vitamin-D-Wert gesundheitlich positiv oder negativ auswirkt. Außerdem ist die Einteilung der Schwellenwerte sehr unterschiedlich, wie die zum Thema Prostatakrebs aufgeführten Studien verdeutlichen.

Eine wertvolle Hypothese zur Erklärung der unterschiedlichen Studienergebnisse zu Vitamin D stellt Reinhold Vieth auf.[2]Vieth R (2004): Enzyme kinetics hypothesis to explain the U-shaped risk curve for prostate cancer vs. 25-hydroxyvitamin D in nordic countries. Int J Cancer; 111(3): 468; author reply 469.[3]Vieth R (2009): How to optimize vitamin D supplementation to prevent cancer, based on cellular adaptation and hydroxylase enzymology. Anticancer Res; 29(9): 3675-3684. Diese besagt, dass es vielmehr auf die Beständigkeit im Jahresverlauf des individuellen Calcidiol-Spiegels ankommt als auf dessen absolute Höhe. Dabei spielen die Enzyme, die für die Aktivierung und Deaktivierung von Calcidiol (25-OH-Vitamin D) zum biologisch wirksamen Calcitriol (1,25-(OH)2-Vitamin D) notwendig sind, eine wichtige Rolle: die 1-alpha-Hydroxylase (Aktivierung) und die 24-Hydroxylase (Deaktivierung). Viele Organe, darunter Nieren, Bauchspeicheldrüse und Prostata, besitzen diese Enzyme und können somit selbst Calcitriol produzieren. Sinkt der Serum-Calcidiol-Wert, so gelangt weniger Calcidiol in die Zellen als Ausgangsstoff zur Calcitriol-Synthese. Deshalb müssen die Enzyme entsprechend reguliert werden, so dass die Calcitriol-Synthese trotz weniger Ausgangsmaterial steigt und der normale Level wieder erreicht wird. Die Niere als endokrines Organ passt ihre Enzymtätigkeit durch verschiedene Regulationsmechanismen (Plasma-Calciumspiegel, Parathormon, direkte Produkt-Rückkopplung) relativ schnell an, so dass der Zeitraum, in dem zu wenig aktives Calcitriol produziert wird, relativ kurz ist. Die Regulationsmechanismen bei anderen Organen als der Niere sind jedoch noch weitestgehend unbekannt. Bekannt ist, dass es bei parakrinen Organen (z. B. Bauchspeicheldrüse, Prostata) keine Regulation durch Calcium und Parathormon gibt. Daher dauert es bei diesen Organen vermutlich deutlich länger, die Calcitriol-Produktion bei einem verringerten Calcidiol-Spiegel wieder auf ein normales Level zu erhöhen.[4]Vieth R (2009): How to optimize vitamin D supplementation to prevent cancer, based on cellular adaptation and hydroxylase enzymology. Anticancer Res; 29(9): 3675-3684.

Die Studienergebnisse zu Vitamin D müssten nach dieser Hypothese mit Blick auf die jeweiligen Breitengrade beurteilt werden. In Breitengraden, die sich nahe dem Äquator befinden, ist die UV-Strahlung, die für die Bildung von Vitamin D geeignet ist, relativ geringen Schwankungen unterworfen. In höheren Breitengraden, z. B. in Norwegen, Finnland und Schweden, aber auch in Deutschland, sind diese Schwankungen hingegen deutlich größer. Personen, die in höheren Breitengraden leben und nur in den Sommermonaten relativ hohe Vitamin-D-Spiegel aufweisen, haben daher über das Jahr vermutlich die größten Calcidiol-Schwankungen. Personen mit dauerhaft niedrigen Calcidiol-Spiegeln weisen dagegen geringere Schwankungen auf. Dies könnte erklären, warum in manchen Studien hohe Calcidiol-Serumwerte mit einem erhöhten Prostatakrebsrisiko assoziiert werden: Durch die hohen Schwankungen im Jahresverlauf kann in den dunklen Jahreszeiten im Prostatagewebe kein ausreichender Spiegel an aktivem Calcitriol erreicht werden.[5]Vieth R (2009): How to optimize vitamin D supplementation to prevent cancer, based on cellular adaptation and hydroxylase enzymology. Anticancer Res; 29(9): 3675-3684.

Es scheint also durchaus sinnvoll zu sein, seinen Vitamin-D-Spiegel über das Jahr hinweg zu beobachten und ihn bei einem vorliegenden Mangel und/oder bei hohen Schwankungen durch ausreichende Supplemen­tie­rung zu ergänzen bzw. auszugleichen. Erreicht werden sollte ein dauerhafter Serumspiegel zwischen 75 nmol/l und maximal 150 nmol/l.[6]Holick MF (2007): Vitamin D deficiency. N Engl J Med; 357(3): 266-281. Ein Mangel (≤ 19 nmol/l) sollte auf jeden Fall vermieden werden.

In Studien sollten in Zukunft die individuellen Schwankungen der Calcidiol-Serumwerte über das Jahr berücksichtigt werden und nicht die Werte über das Jahr gemittelt oder nur ein einziger Messwert pro Person berücksichtigt werden.

Quellenverzeichnis

Quellenverzeichnis
1Chandler PD, Chen WY, Ajala ON, et al. Effect of Vitamin D3 Supplements on Development of Advanced Cancer: A Secondary Analysis of the VITAL Randomized Clinical Trial. JAMA Netw Open. 2020;3(11):e2025850. Published 2020 Nov 2. doi:10.1001/jamanetworkopen.2020.25850
2Vieth R (2004): Enzyme kinetics hypothesis to explain the U-shaped risk curve for prostate cancer vs. 25-hydroxyvitamin D in nordic countries. Int J Cancer; 111(3): 468; author reply 469.
3, 4, 5Vieth R (2009): How to optimize vitamin D supplementation to prevent cancer, based on cellular adaptation and hydroxylase enzymology. Anticancer Res; 29(9): 3675-3684.
6Holick MF (2007): Vitamin D deficiency. N Engl J Med; 357(3): 266-281.

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